Tag 14 Porvoo: Materialismus und Sushi

Unser erster Stopp in Porvoo ist der Lagerverkauf von Brunberg, einer finnischen Süßigkeitenfabrik. Karkki tai kepponen! Hier gibt es B-Ware zu leicht ermäßigten Preisen und wir schleppen Tüten mit Lakritz und Trüffeln zurück zum Camper. Mitbringsel und Weihnachtsgeschenke. Natürlich. Hoffentlich! Oh, ich weiß es nicht. Freunde, bitte fordert Euer Mitbringsel ein, sonst endet das in einem totalen Zuckerschock!

Dann finden wir tatsächlich einen kostenfreien Parkplatz für unser Wohnmobil fußläufig zur malerischen Altstadt von Porvoo. Die bunten Holzhäuschen sind ein Touristenmagnet. Das Santorini Finnlands. Eine bunte Mischung aus Cafés, Handarbeitsläden, Kleinkunst und Krimskrams. Eine perfekte Kulisse für Selfies!

In Porvoo begegnen wir ihnen dann auch zum ersten Mal. Es sind Familien, wie den Influencer-Profilen auf Instagram entstiegen. Die Kinder tragen fleckenfreie weiße Leinenhosen, Seitenscheitel und der Vater den Louis Vuitton Rucksack der Mutter. Es blendet, glitzert und blinkt. Karat um Karat. Am Menschen muss alles herrlich sein! Vielleicht ist genau das die Aussage: „Wir sind sauber.“ Dabei wissen alle, das ist gelogen. Niemand von uns ist das.
Aber an all jene die Kritik an der „westlichen Haltung“ im Ukraine-Krieg mit Kapitalismuskritik verwechseln: Viel weiter kann man nicht daneben liegen.
Mittags entscheiden wir uns gegen das szenige Restaurant mit dem deutschen Namen und der englischen Karte. Wir entdecken, etwas abseits gelegen, ein Sushi-Restaurant mit Buffet mit einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis. An der Tür klebt die Aufforderung: Bewerten Sie uns auf WOLT.

Wir sind satt, als wir auf dem Rastila in Helsinki ankommen. Pixie ruft begeistert: Ab jetzt erleben wir die Reise rückwärts! Ich teile ihre Begeisterung. Wir sind alle müde und voller Eindrücke. Wir freuen uns auf zu Hause.

Rastila in Helsinki: Bild für meinen Papa.

Tag 13 Rückreise Joensuu, Campingplatz Taavetti, Stille

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Oder in unserem Fall: Das Birkenholzkörbchen. Seit unserer Ankunft jagen wir ihm hinterher: Dem perfekten Brotkorb. Kimmo verbindet mit dem Flechtwerk aus dünnem, weichem Birkenholzstreifen Kinderheitserinnerungen. Er ist der festen Überzeugung, dass jeder anständige, halb skandinavische Haushalt eines besitzen sollte. Aber wie das so ist mit den Kindheitsidealen: Die Gefahr ist groß, dass die Gegenwart im Vergleich abfällt. So ist kein Holz bisher weich genug, kein Korb hat die richtige Größe oder den richtigen Preis. Hinzu kommt: Die finnische Handwerkskunst des Birkenkorbflechtens ist im Verschwinden begriffen. Die Stände mit Korbwaren, die Kimmo von den Märkten seiner Kindheit kennt, es gibt sie nicht mehr.
Doch in Joensuu, dem Mekka für karelische Lebensart, da soll es sie geben die Stände voller Birkenflechtwerk.

Das ist, was wir begehren!

So brechen wir am Morgen extra früh auf in Lieksa. Das ist unserem Fall 9:00 Uhr. Um 11:00 Uhr erreichen wir Joensuu, was so viel wie Flussmündung bedeutet. Tatsächlich gibt es in der Ortsmitte ein Zentrum für karelische Handwerkskunst. Es ist beheimatet in zwei klassischen Holzhäusern und den dazu gehörigen Schuppen in der Ortsmitte. Leider werden hauptsächlich Textilien angeboten. Die Kinder decken sich mit finnischer Wolle in schönen Aqua-Tönen ein. Pixie entdeckt in einem Laden einen kleinen Bären, in den sie sich verliebt. Bisher haben wir eine Erweiterung des Kuscheltier-Zoos erfolgreich abgewehrt. Jetzt geben wir nach, obwohl wir bei genauerer Betrachtung merken, dass das Bärchen im Westfälischen Viersen produziert wird. Es lebe der europäische Binnenmarkt!

Auch auf dem Wochenmarkt in Joensuu werden wir nicht fündig, aber ich entdecke Lakka! Auch Wolken- oder Moltebeeren genannt. Ein Kilo kostet 20€. Die Beeren sind sehr selten. Sie wachsen nur in Moorgebieten in bestimmten Ländern der nördlichen Hemisphäre. Sie gelten als echtes Superfood, voller Antioxidantien und wichtiger Spurenelemente. Unsere Mummo sagt, wenn man beim Beerenpflücken in Finnland auf Lakka stößt, dann sperrt man seinen Mund zu, freut sich und spricht mit niemanden darüber. Noch nicht mal mit seinen Schwestern! Sie zwinkert. „Das ist wie eine Goldader!“
Den Mund zu verschließen, ruhig zu sein, scheint mir im Übrigen eine Kardinaltugend der Finnen zu sein. Selbst im geschäftigen Treiben des Wochenmarkts herrscht eine erstaunliche Stille. Als ich aus Freude über meinen Beerenfund, nach Kimmo rufe, dreht sich der halbe Platz zu mir um. Ich ernte vorwurfsvolle Blicke, nicht nur für meine Aussprache. Ich habe während unseres gesamten Aufenthalts in Finnland nicht eine Mutter nach ihren Kindern rufen hören. Wie machen die das?
Die Beeren sollen auf jeden Fall herrlich mit Vanille-Eis schmecken. Auch aus Korbfrust, schlage ich zu. Die nächsten drei Tage essen Kimmo und ich Lakka mit Vanille-Eis, weil unsere Kinder den eher dezenten Geschmack nicht zu schätzen wissen. So richtig überzeugt bin ich auch nicht. Die Beeren sind säuerlich und erinnern mich im Geschmack entfernt an Kaktusfeigen. Kimmo ist aber selig. Auf die Kindheit!

Eigentlich wollten wir den Campingplatz in Lappeenranta als Zwischenstopp zur Übernachtung nutzen. Doch wir disponieren kurzfristig um, nachdem ich mehrere abfällige Kommentare über die hygienische Situation der Sanitäranlagen im Internet gefunden habe. Das fehlt mir noch! Vom Regen in die Traufe kommen. Über Schotterstraßen erreichen wir den Campingplatz in Taavetti. Ein Ort, den selbst die Finnen in ihren Bewertungen für seine Ruhe loben. Das hätte mir zu denken geben sollen! Aber die Bilder der kleinen, aber feinen Duschen, haben alles überschattet.

Die günstigste Übernachtung bisher, aber man ist mitten im finnischen Nirgendwo. Außer den Besitzer sehen wir stundenlang niemanden, obwohl der Platz gut besucht ist. Wir stehen direkt neben einem Spielplatz, den nur unsere Kinder nutzen. Sie finden kleine Frösche und sind begeistert. Kimmo und ich sind befremdet, ob der absoluten Stille. Man hört nur das Rauschen der Birken und das Quaken der Frösche. Wenn wir ein Seil an einem der Bäume festgeknotet fänden, das uns tiefer in die Wildnis führte, wäre das nicht verwunderlich. Könnten wir dem Impuls widerstehen, das Ende des Seils zu suchen? Am nächsten Morgen entfliehen wir der gespenstischen Stille sehr zur Enttäuschung unserer Kinder und fahren weiter nach Porvoo.

Tag 8 Sonne und Shopping in Lieksa

Shopping
Neben fünf großen, modernen Einkaufsmärkten reiht sich in Lieksa ein Antiquitäten-Geschäft an das nächste. „Vintage“ ist hier ein großes Thema. Frei nach dem Motto: Wenn man uns hier schon zum alten Eisen zählt, lassen wir uns das wenigstens vergolden.
Im Citymarket und bei Tokmanni kaufe ich all jene Dinge, die ich mir bei Stockmann in Helsinki verkniffen habe und das zu einiger Maßen annehmbaren Preisen. Aber natürlich muss sich jeder eine neue Mumintasse von Arabia aussuchen. Die Figuren aus den Mumin-Geschichten von Tove Jansson sind für Finnland ebenso identitätsstiftend wie das Design von Marimekko.
Marimekko ist in Finnland allgegenwärtig. Es gibt alles von Marimekko: Tischdecken, Taschen, Heimtextilien, Geschirr und Kleidung. Es gibt nichts Vergleichbares in Deutschland. Marimekko ist ein finnisches Phänomen! Es fühlt sich gut an, mit meiner Sucht nicht allein zu sein. Die Finnen sind verrückt nach Marimekko. Ich bin es auch. Nachdem ich im Marimekko-Outlet in Helsiniki schon ungefähr die Summe in Stoff und Kleidung investiert habe, die meine Eltern für ihr erstes Auto ausgegeben haben, stocke ich in Lieksa noch einmal auf. Aber die kleinen Melaminteller erleichtern uns jetzt wirklich den Alltag im Camper! Und Servietten, ach, die braucht man doch immer!
In einem dieser kleinen Trödelläden stolpere ich dann auch noch über eine Auswahl mit Marimekko- und anderen Vintage-Stoffen. Ganz böse Kombination.

Meine drei Highlights

  • Ajanpatniaa
    Kleiner, hochpreisiger Laden mit einer wunderschön kuratierten Auswahl. Der Besuch ist auf jeden Fall empfehlenswert, da der Laden schon eher einem Museum für finnisches Design gleicht. Leider sind die Preise teilweise total unrealistisch.

    Adresse: Pielisentie 36
    Kontakt: info@ajanpatinaa.fi, puh. 040 554 0813
  • Kleiner Pop-up Store „Lempvilla oy“
    Lustiger Laden mit vielen bunten Stoffen und ausgewählten Vintage-Artikeln. Die Besitzerin stellt Handgestricktes aus Schafwolle her. „Lempvilla oy“ ist eigentlich das Label, unter dem sie diese vertreibt. Der Shop hat bisher keinen Namen.

    Adresse: Sairaalakatu, Ecke Plielisentie
  • Galleria Euro, Art & Antik, Pentii Riikonen
    Uriger Laden, der eigentlich aus zwei Geschäften besteht, die nebeneinander liegen, aber getrennt zugänglich. Der Besitzer kann immer nur in einem der zwei Läden sein, was leicht zu Missverständnissen führt. Hier herrscht aber sowieso die Anarchie. Es ist ein Wimmelbild aus Krimskrams. Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man hier noch auf richtige Schätze stoßen.

    Adresse: Pielisentie 8
    Kontakt: penttiriikonen@gmail.com, +358 (400) 252 158
Zeitung von 1914 mit Leitartikel über eine karelische Schriftstellerin und die Seenotrettung eines irischen Schiffes.

Die Möglichkeiten nach erfolgreicher Jagd nach Preziosen irgendwo einzukehren, sind in Lieksa leider doch recht übersichtlich. Dennoch gibt es einen Gasthof im Stadtzentrum, der es auf besonders bezaubernde Weise geschafft hat, das alte Finnland mit dem neuen zu verbinden.

  • LounasRavintola Hurtan Holvi:
    Man ist gut beraten, sich für das Mittagsbuffet zu entscheiden. Es gibt karelische Küche, Hausmannskost mit kleinen Finessen, leckere Crumbles und Kuchen zum Nachtisch mit Kaffee. Die aktuelle Speisekarte findet man auch auf der Facebook-Seite.

    Adresse: Simo Hurtan katu 11
    81700, Lieksa
    Kontakt: 045 345 7919 info@hurtanholvi.fi

Den Nachmittag verbringe ich mit den Kindern am Badestrand. Ich schaue ihnen zu, wie sie die Wellen necken. Wir zählen gegenseitig unsere Mückenstiche, denn ja, jetzt sind sie da die Biester. Sie mögen es wohl auch lieber etwas wärmer und weniger windig. Besonders während des Spüldienstes in der Sommerküche, auf der Toilette und am Angelsteg lauern sie vornehmlich auf Füße und Beine. Enni meint, sie habe 40 Mückenstiche. Daraufhin stellt Pixie fest, dass sie 41 habe.

„Dafür ist der auf meiner Schulter so groß, dass man glaubt, mir wächst eine dritte Brust.“, behält Enni das letzte Wort.
Als meine Schwiegermutter heute im Outdoor-Geschäft nach einem wirkungsvollen Mittel gegen Mücken fragt, erhält sie eine finnisch prägnante Antwort: „Ich habe „verkko“. Netze.