Tag 10 -13 Gewitter und Abschied aus Lieksa

So ziehen die Tage so dahin. Wir sind eingehüllt vom Strahlen der Natur. Bis sich der ganze Sommerglanz in einem heftigen Gewitter entlädt. Der Sturm kommt nachts. Erlebt man Gewitter im Campingbus immer so unmittelbar? Ist der Donnergott hier oben im Nordosten einfach erfahrbarer? Nie zuvor habe ich Gewittergrolllen mit meinem Körper gespürt. Für einen kurzen Moment bekomme ich Herzrasen. Meine Sorgen gelten dem Camper. Sind alle Luken geschlossen? Die Schotten dicht? Ist das ein Tropfen? Tropft es drinnen oder draußen?
Die Kinder sind auch wach. Ich erklimme ihren Alkoven und wir erzählen uns Götter-Geschichten, bis uns das Rauschen der Kiefern wieder in den Schlaf wiegt. Wieder wach, von allen Seiten getreten. Meine zwei Riesenbabys versuchen in mich hineinzukriechen im Traum. Also flüchte ich zurück auf meinen schmalen Schlafstreifen bei Kimmo. Die Wonnen des Campings!
Immerhin liefert uns der skandinavische Regen, der auch noch am nächsten Tag andauert, einen Vorwand die örtlichen Sanitäranlagen zu boykottieren. Wir spielen Insel! Keiner verlässt den Camper für 24 Stunden. Kimmo hält nicht durch und geht mit seinen Eltern nachmittags auf ein Konzert. Tja! Verloren.

Als ich am Sonntag aus dem Camper krieche, ist es kalt, aber der Himmel ist klar. Wir versuchen die öffentlichen Konzerte der Blechbläser-Woche in Lieksa zu besuchen, landen aber letztlich wieder im Citymarket und in unserem Stammlokal. Wir erweitern unseren Finnischen Wortschatz.

Um unser kulturelles Gewissen zu beruhigen, besichtigen wir die Kirche in Lieksa.
Im Entree der Kirche begrüßt uns eine Schülerin. Sie ist in ihrem letzten Schuljahr. Im nächsten Jahr will sie auf die Polytechnische Hochschule wechseln, um irgendetwas mit Medien zu studieren. Das ist ihr Ferienjob: Touristen durch die Kirche führen, dabei auf Sauberkeit und Ordnung achten. Auf die Frage, ob sie selber denn sehr gläubig sei, antwortet sie aufrichtig. Nein, sie gehe nur einmal im Jahr in die Kirche. Sie möge einfach die Stille und spräche viele Sprachen, deswegen sei das ein guter Job für sie. Ich nicke. Sie greift zu Besen und Handschaufel, als wir das Kirchenschiff betreten. Unsere Mummo übernimmt die Führung.

Abends ist es Zeit Abschied zu nehmen vom See. Danke für Deine Gastfreundschaft, Deine Farben und Deinen weiten Horizont. Wir reisen morgen über Joensuu und Porvoo zurück nach Helsinki.

Tag 8 Sonne und Shopping in Lieksa

Shopping
Neben fünf großen, modernen Einkaufsmärkten reiht sich in Lieksa ein Antiquitäten-Geschäft an das nächste. „Vintage“ ist hier ein großes Thema. Frei nach dem Motto: Wenn man uns hier schon zum alten Eisen zählt, lassen wir uns das wenigstens vergolden.
Im Citymarket und bei Tokmanni kaufe ich all jene Dinge, die ich mir bei Stockmann in Helsinki verkniffen habe und das zu einiger Maßen annehmbaren Preisen. Aber natürlich muss sich jeder eine neue Mumintasse von Arabia aussuchen. Die Figuren aus den Mumin-Geschichten von Tove Jansson sind für Finnland ebenso identitätsstiftend wie das Design von Marimekko.
Marimekko ist in Finnland allgegenwärtig. Es gibt alles von Marimekko: Tischdecken, Taschen, Heimtextilien, Geschirr und Kleidung. Es gibt nichts Vergleichbares in Deutschland. Marimekko ist ein finnisches Phänomen! Es fühlt sich gut an, mit meiner Sucht nicht allein zu sein. Die Finnen sind verrückt nach Marimekko. Ich bin es auch. Nachdem ich im Marimekko-Outlet in Helsiniki schon ungefähr die Summe in Stoff und Kleidung investiert habe, die meine Eltern für ihr erstes Auto ausgegeben haben, stocke ich in Lieksa noch einmal auf. Aber die kleinen Melaminteller erleichtern uns jetzt wirklich den Alltag im Camper! Und Servietten, ach, die braucht man doch immer!
In einem dieser kleinen Trödelläden stolpere ich dann auch noch über eine Auswahl mit Marimekko- und anderen Vintage-Stoffen. Ganz böse Kombination.

Meine drei Highlights

  • Ajanpatniaa
    Kleiner, hochpreisiger Laden mit einer wunderschön kuratierten Auswahl. Der Besuch ist auf jeden Fall empfehlenswert, da der Laden schon eher einem Museum für finnisches Design gleicht. Leider sind die Preise teilweise total unrealistisch.

    Adresse: Pielisentie 36
    Kontakt: info@ajanpatinaa.fi, puh. 040 554 0813
  • Kleiner Pop-up Store „Lempvilla oy“
    Lustiger Laden mit vielen bunten Stoffen und ausgewählten Vintage-Artikeln. Die Besitzerin stellt Handgestricktes aus Schafwolle her. „Lempvilla oy“ ist eigentlich das Label, unter dem sie diese vertreibt. Der Shop hat bisher keinen Namen.

    Adresse: Sairaalakatu, Ecke Plielisentie
  • Galleria Euro, Art & Antik, Pentii Riikonen
    Uriger Laden, der eigentlich aus zwei Geschäften besteht, die nebeneinander liegen, aber getrennt zugänglich. Der Besitzer kann immer nur in einem der zwei Läden sein, was leicht zu Missverständnissen führt. Hier herrscht aber sowieso die Anarchie. Es ist ein Wimmelbild aus Krimskrams. Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man hier noch auf richtige Schätze stoßen.

    Adresse: Pielisentie 8
    Kontakt: penttiriikonen@gmail.com, +358 (400) 252 158
Zeitung von 1914 mit Leitartikel über eine karelische Schriftstellerin und die Seenotrettung eines irischen Schiffes.

Die Möglichkeiten nach erfolgreicher Jagd nach Preziosen irgendwo einzukehren, sind in Lieksa leider doch recht übersichtlich. Dennoch gibt es einen Gasthof im Stadtzentrum, der es auf besonders bezaubernde Weise geschafft hat, das alte Finnland mit dem neuen zu verbinden.

  • LounasRavintola Hurtan Holvi:
    Man ist gut beraten, sich für das Mittagsbuffet zu entscheiden. Es gibt karelische Küche, Hausmannskost mit kleinen Finessen, leckere Crumbles und Kuchen zum Nachtisch mit Kaffee. Die aktuelle Speisekarte findet man auch auf der Facebook-Seite.

    Adresse: Simo Hurtan katu 11
    81700, Lieksa
    Kontakt: 045 345 7919 info@hurtanholvi.fi

Den Nachmittag verbringe ich mit den Kindern am Badestrand. Ich schaue ihnen zu, wie sie die Wellen necken. Wir zählen gegenseitig unsere Mückenstiche, denn ja, jetzt sind sie da die Biester. Sie mögen es wohl auch lieber etwas wärmer und weniger windig. Besonders während des Spüldienstes in der Sommerküche, auf der Toilette und am Angelsteg lauern sie vornehmlich auf Füße und Beine. Enni meint, sie habe 40 Mückenstiche. Daraufhin stellt Pixie fest, dass sie 41 habe.

„Dafür ist der auf meiner Schulter so groß, dass man glaubt, mir wächst eine dritte Brust.“, behält Enni das letzte Wort.
Als meine Schwiegermutter heute im Outdoor-Geschäft nach einem wirkungsvollen Mittel gegen Mücken fragt, erhält sie eine finnisch prägnante Antwort: „Ich habe „verkko“. Netze.

Tag 6 Landstraße nach Lieksa – Kloster Valamo

Sie sind Fan von „Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands“? Dann werden Sie „Die endlosen Landstraßen Finnlands“ lieben! Wir reisen mit dem Wohnmobil von Lahti nach Lieksa. Die Höchstgeschwindkeit von 120 km/h reizen wir nie ganz aus, weil unser Wohnmobil schon bei 95 km/h beachtlich ins Schlingern gerät, auch wenn Kimmo das nicht zugeben möchte.
Die meisten Straßen sind einspurig, oft darf man auch noch 80 km/h fahren und alle zwei Kilometer steht ein Blitzer. Die Finnen nehmen das sehr ernst mit dem Tempolimit. Ich zähle die Schilder, die vor marodierenden Elchen warnen, deren Häufigkeit zunimmt, je weiter wir gen Norden fahren.
Es gibt übrigens Elchtouren, die Touristen buchen können. Man fährt dann in eine Hütte im Wald und wartet Tage bis ein Elch kommt. Einheimische setzen sich einfach auf einen Stuhl an eine Lichtung und warten ein bis zwei Stunden, meint Kimmos Cousin. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich damit auf den Arm nehmen wollte.

Gegen Mittag rasten wir im Kloster Valamo. Kurz bevor wir es erreichen, frage ich mich, wie ein Kloster in dieser zerklüfteten Moorlandschaft zwischen tausend Seen und noch mehr Wäldern wohl aussieht. Ich stelle mir ein paar große Blockhütten vor. Rustikale Häuser mit Männern, deren Gesichter von Wetter und Witterung gegerbt sind. Thoreau kommt mir in den Sinn.

Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben und nur den wesentlichsten Dingen des Lebens gegenüberstehen. Ich wollte versuchen, ob ich nicht seine Weisheiten empfangen könnte, damit ich nicht in der Todesstunde innewürde, dass ich gar nicht gelebt hatte. Nichts anderes als das Leben wollte ich leben. Das Leben ist so kostbar. Wenn es irgend möglich war, wollte ich nicht verzichten. Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen. Hart und spartanisch wollte ich leben, um alles auszurotten, was nicht Leben war, einen breiten Schwaden zu schlagen dicht über dem Boden.“ (Walden)

Kannte Thoreau Finnland? Ich werde zukünftig „Walden“ nicht mehr ohne dieses Land denken können.
Dann zeigt sich uns das Kloster auf einem Hügel mit leuchtend weißen Kuppeln. Die Sonne scheint und einen Moment sind wir in Griechenland. Die bierbäuchigen Mönche in schwarzen Roben erinnern eher an die Hohenpriester antiker Bacchanale als an asketische Selbstgeißelung.


Das Kloster Uusi Valamo war ursprünglich ein russisch orthodoxes Kloster. Es ist das einzige orthodoxe Männerkloster in Finnland. Seit Ende der 70er Jahre wird dort finnisch gesprochen, um sich den finnisch-orthodoxen Christen zu öffnen. Die Mönche keltern Wein und brauen Kotikalja. Ein Dünnbier, das wir uns ordentlich schmecken lassen, bevor wir weiter fahren. Es soll die die Verdauung beleben, so heißt es. Ohne allzu sehr ins allzu Menschliche abzurutschen, möchte ich anmerken, dass mir diese Wirkung nach einer Woche Camping durchaus gelegen käme. Das Campen und ich, das ist ein Thema für sich.
Die Mönche verkaufen in ihrem Shop selbst gekelterten Wein, regionale Handwerkserzeugnisse und handbemalte Ostereier aus der Ukraine. Der Erlös der Ostereierei wird gespendet. Als ich einen der Verkäufer anspreche, wohin die Gelder fließen, erklärt er, dass sie Einnahmen an geflohene Gläubige aus der Ukraine gingen. „We are Finnisch. We are against the war.“, setzt er nach. Angesichts der zahlreichen russisch sprachigen Besucher eine erstaunlich offene und eindeutige Erklärung.

Wir fahren weiter. Ich meckere die ganze Zeit, Kimmo versucht trotzdem Schwerlastzüge und Holztransporter zu überholen. Das werden auch immer mehr, je weiter nördlich wir kommen Ein ganz normaler Familienurlaub halt!

Am Abend kommen wir an. Lieksa belohnt unsere Mühen mit einem dieser spektakulären Sonnenuntergänge, wie es sie nur hier oben im Nordosten gibt. Immer noch kein einziger Mückenstich!